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Audiotektur – Das Gebäude als Klangkörper

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Interview mit Lars Ohlendorf, Head of Design, WESOUND

Beim Thema Audiotektur beschäftigt ihr euch damit, wie sich ein Raum, ein Gebäude oder auch ein Stadtviertel anhört. Beispielsweise, welche Geräusche ihre Benutzer:innen verursachen und welche Klangatmosphäre vorherrscht. Welche weiteren Aspekte werden berücksichtigt? Und warum sind diese wichtig?

Die Idee der Audiotektur, einem Kunstwort aus Audio und Architektur, überträgt zwei geisteswissenschaftliche Konzepte auf das Leben in und in der Nähe von Gebäuden. Dies sind erstens Murray Schafers grundlegende Arbeiten zur Soundscape[1], der hörbasierten Analyse einer Klangumgebung (einer „Klangschaft“) mit Methoden der erweiterten Musikwissenschaft, und zweitens die musikalischen Werke der Musique Concrète, also der absichtsvollen gestalterischen Arbeit mit konkreten, in und durch Natur und Kultur bereits vorhandenen Klängen. Die Herausforderung liegt also darin, genau beides zu können: einerseits das vorhandene Klangmaterial zu analysieren und evaluieren und andererseits eine positive Vision für eine lebensfreundliche, idealerweise bereichernde Klanglandschaft zu entwickeln, die akustischen Rahmenbedingungen zu schaffen, in den Mensch und Natur zueinander finden.

Aus dieser Prämisse ergeben sich eine ganze Reihe von u. a. städtebaulichen, architektonischen, gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Aspekten, die für jeden Ort individuell verhandelt werden müssen. Dabei geht es selbstverständlich nicht darum, die Klanglandschaft zu diktieren, also dem Vogel dem Einsatz zum Zwitschern zu geben und dem Menschen dazu die Straße zu überqueren; es geht vielmehr darum die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass 1. Lärm bestmöglich begrenzt wird, 2. das Schallfeld abwechslungsreich und interessant klingt, und 3. eine größtmögliche akustische Transparenz („Durchhörbarkeit“ einer akustischen Szenerie) gegeben ist.

 

Für wen ist dieser Ansatz wichtig? Sollten alle Architekt*innen und Bauplaner*innen sich mit Audio beschäftigen? Oder ist Audiotektur nur für Leuchtturmprojekte im Bereich Klang, wie z.B. die Elbphilharmonie als Konzertsaal, oder für bedeutende Klanginstallationen relevant? Und welches Potential liegt in der Planung der Raumakustik?

Auch wenn man nicht die nächste Elphi baut, ist die Raumakustik ein entscheidender Faktor der Raumgestaltung. Ich denke, es gibt keine Architekt*innen, die die Akustik nicht auf dem Zettel hätten. Häufig werden aber Aspekte des Baus priorisiert, die dem Raumklang abträglich sind. Viele Glasflächen zum Beispiel, Klassiker, schaffen beeindruckende visuelle Effekte, aber sind akustisch und auch klimatisch mindestens problematisch.

Ich denke, in vielen Fällen ist Raumakustik auch gar kein Thema von Architekten, die Gebäude oder gar Bezirke planen – dabei hat es hier, im negativen Raum zwischen den Gebäuden, genauso große Relevanz. Viel öfter finden raumakustische Maßnahmen, ganz pragmatisch, in der Innenarchitektur statt, ob nun absichtlich oder nicht. Denn jedes Objekt im Raum ist ja ein Hindernis für den Schall und wirkt deshalb auch akustisch, seien es Lampe, Sessel und Sofa in Wohnbereichen, Regalsysteme und Waren in Lagern und Märkten oder eben auch 20 Schreibtische in der Schulklasse. Das heißt: Allein über eine informierte Auswahl von Möbeln und deren optimierter Positionierung lässt sich ein schlechter, störender Raumklang in einen mitunter ordentlichen, neutralen aufwerten. Und das ist absolut kein Selbstzweck: Die Qualität der Raumakustik beeinflusst maßgeblich, wie sich Menschen in einem Raum verhalten oder fühlen, ob sie sich gut konzentrieren oder entspannen können, lernen oder kommunizieren. Die Zusammenhänge sind zum Teil sehr eingängig, dafür braucht es kein Studium der Akustik oder Psychologie: je mehr Störschalle zum Nutzschall dazukommen, zum Beispiel diffuser Nachhall und Hintergrundlärm zu dem, was meine Kollegin gerade zu mir sagt, desto mehr Arbeit hat mein Hör-Hirn, (der auditorische Kortex), diese Nachricht zu isolieren und für mich verständlich zu machen. Deshalb sind Mitarbeiter*innen in lauten Büros nach Feierabend deutlich erschöpfter als solche in leisen. Sie sind häufiger krank, und ihre Arbeitsleistung fällt insgesamt geringer aus. Das Gleiche gilt für Schüler*innen in akustisch schlechten Unterrichtsräumen. Leider stellt sich hier kein Trainingseffekt ein, wie beim Lauftraining mit zusätzlichen Gewichten. Im Gegenteil, der Effekt bleibt konstant und fördert eher Burnout als Resilienz.

 

Thema Lärmschutz. Ob im Großraumbüro oder in deutschen Innenstädten – vielerorts sind Menschen einem enormen Geräuschpegel und akustischer Reizüberflutung ausgesetzt. Wie kann Audiotektur hier helfen?

Es gibt eine ganze Reihe von städteplanerischen und baulichen Möglichkeiten, Lärm schon vor seiner Entstehung einzugrenzen; aber auch bereits vorhandenen Lärm zu vermindern oder zumindest räumlich aufzufächern. Dadurch wird die Klanglandschaft transparenter, Menschen finden sich besser akustisch zurecht und fühlen sich, nicht zuletzt, wohler.

Doch damit das passieren kann, muss die Expertise von den Hochschulen buchstäblich auf die Straße gebracht werden. Und an dieser Stelle sehen wir uns bei Wesound in der Pflicht. Dazu müssen wir einerseits informieren und überhaupt ein Problembewusstsein schaffen und andererseits konkrete Lösungsvorschläge für die Gestaltung von öffentlichen und privaten Räumen anbieten.

Da die Audiotektur aber grundsätzlich alle klingenden Aspekte dieser Kontexte einbeziehen muss, kann die Gemengelage der Disziplinen für Außenstehende durchaus abschreckend wirken; immerhin sprechen wir über drei grundverschiedene Großkategorien: Klangquellen, Resonatoren und Medien. Klangquellen wie zum Beispiel Menschen, Vögel, Autos, Kaffeemaschinen oder auch Wind in den Bäumen; es können Resonatoren sein, Räume, also physikalische Einheiten, die den Klang auf bestimmte Weise verändern – zum Beispiel Großraumbüro, Glasfronten, Indoor Gärten oder Behandlungszimmer; und es können elektroakustische Medien sein: wie die Türklingel, das Headset, die Lautsprecheranlage im Vortragssaal; welche gestalterischen Ziele werden mit einer Ladenbeschallung verfolgt? Können unheimliche Straßen durch hinzugefügte Klänge weniger unheimlich gemacht werden.

Wie sich schon im Gefälle zwischen Türklingel und ganzen Straßenzügen andeutet, oszilliert man in der Audiotektur gern zwischen Mikro- und Makrokosmos. Und deshalb arbeiten wir mit Hochdruck an Werkzeugen, die die gestalterische Arbeit an und mit Soundscapes verständlich, nachvollziehbar und erlebbar machen. Dass es diese Tools bis heute nicht gibt, sehe ich als wesentliches Hemmnis für diese Bewegung.

 

Welche Rahmenbedingungen müssen für Audiotektur-Projekte gegeben sein? Und wann ist der richtige Zeitpunkt das Thema Audio zu integrieren?

Man kann die Audiotektur zu jedem Zeitpunkt initiieren, am besten natürlich zusammen mit der Planung jedweder Änderung, sei es nur der Neugestaltung eines Büros oder auch der Neuentwicklung eines ganzen Stadtviertels.

Die Rahmenbedingungen sind genaugenommen überschaubar. Es braucht lediglich den Willen lebensfreundliche und nachhaltige Räume zu schaffen. In der Detailbetrachtung ergeben sich eine Reihe kritischer Faktoren. Natürlich muss vorher die Gestaltbarkeit und Wirksamkeit von akustischen Maßnahmen akzeptiert und verstanden sein; es braucht die Bereitschaft mit neuen Gewerken, insbesondere auch Künstlern zusammenzuarbeiten, und vor allem braucht es Mut zu neuen Wegen und Lösungen.

 

Wie siehst du die Zukunft der Stadt? Wird Audiotektur hier künftig an Bedeutung gewinnen?

Unbedingt. Und wenn es gut läuft, zieht sich diese Disziplin in kurzer Zeit wieder an die Fach- und Kunsthochschulen der Welt zurück, beobachtet, denkt vor, und leitet die Architekten und Ingenieure von morgen. Aber im Moment liegt der Berg noch vor uns. Wir leben in einer Zeit, in der Vögel höher und lauter singen als früher, um sich Stadtlärm noch durchzusetzen; wir fügen mittlerweile viel leiseren Autos (auch Verbrennern) künstlich Fahrgeräusche hinzu, damit Fußgänger sie überhaupt noch hören können; die Sirenen von Einsatzfahrzeugen sind in den letzten hundert Jahren dreimal lauter geworden; innerstädtische Neubaugebiete sind von geraden, glatten Fassaden geprägt, die den Lärm noch verstärken – und wir Anwohner laufen mit Noise-Cancelling-Kopfhörern und Smartphone vor der Nase durch die Welt.

Der Konsum pendelt auf den Rückzug in den digitalen Raum. Aber das ist keine Lösung des Problems; er unterdrückt nur Symptome. Eine hörgerechte Stadtplanung und Architektur ist die Lösung.

WESOUND